Schulgeschichte

„An alle die, welche es angeht“: Ein Schulleiter greift durch

Das Lehrerkollegium im Jahr 1950

Zucht! Und Ordnung! Es versteht sich, dass diese Werte, die bis heute den Schulalltag heiligen, nicht nur von den Schülerinnen und Schülern, sondern auch von jedem einzelnen Lehrkörper verinnerlicht werden müssen. Um so mehr stieß es Schulleiter Glöckl sauer auf, dass im Jahre 1953 – also in jener heute bisweilen sehnsuchtsvoll beschworenen Nachkriegszeit, als die Welt noch in Ordnung war (nach einigen eher unerfreulichen Vorkommnissen in jüngster Vergangenheit, die man tunlichst verdrängte) – an seiner Schule Liederlichkeit und Pflichtvergessenheit um sich zu greifen drohten.

Unverzeihliches war geschehen. Der ebenso detailverliebte wie arbeitssame Schulleiter pflegte fast wöchentlich (!) eine „Lehrerratssitzung“ einzuberufen, in der er liebevoll das versammelte Kollegium über die neuesten dienstlichen Obliegenheiten informierte, mit fester Stimme die aktuellen kultusministeriellen Schreiben verlas, die Anwesenden über die aktuellen Weltbegebenheiten aufklärte und auf drohendes Unbill wie auf hoffnungsvolle Entwicklungen hinwies. Diese Sitzungen pflegten nachmittags um drei Uhr zu beginnen und gelegentlich erst nach 20 Uhr oder noch später im Dienstzimmer zu enden. Auf diese Weise trieb er das komplette Kollegium buchstäblich in den Wahnsinn.

Wie reagieren? Bei den anwesenden Lehrern handelte es sich meist um ältere Herren, die in den Kriegszeiten die hohe Kunst des Schlafens mit offenen Augen gelernt hatten. Manchen war daher die Länge der Sitzungen egal, falls man nicht Wichtiges zu erledigen hatte. Bei den Lehrerinnen verhielt es sich anders, da sich der weibliche Schaffensdrang und eine gewisse geschlechtsspezifische Nervosität nicht in das Unvermeidliche schicken wollten und die Kolleginnen offenbar nicht bereit waren, der Suada des Schulleiters andächtig-endlos zu lauschen.

Also positionierten sich die Damen eher auf den hinteren Plätzen und stellten die Aktentaschen vor sich auf den Tischen auf. Und während vorne das Gemurmel des Direktors erklang, entfaltete sich hinter den Taschen ein emsiges Treiben: Hefte wurden korrigiert, Romane verschlungen, Butterbrote ausgepackt, Zeitungen durchgeblättert und, so der Schulleiter später, allerlei anderes „getrieben“. Vor allem erdröhnte das Geklapper der Stricknadeln immer lauter, bis schließlich sogar der in seine dienstlichen Anstrengungen vertiefte Schulleiter aufmerksam wurde und, stark kurzsichtig, die Anwesenden misstrauisch musterte.

Ohnehin hatte es in jüngster Zeit an seiner Anstalt unliebsame Vorfälle gegeben. Besonders einige der jüngeren Kolleginnen zeigten sich immer renitenter. Wie sich eine Zeitzeugin erinnert, nahm er einmal in der Pause eine der jungen Damen auf dem Lehrergang ins Gebet, um ihr einige dienstliche Weisheiten zu vermitteln. Die junge Frau reagierte auf empörende Weise: Sie gab eine schnippische Antwort, drehte sich um und rannte davon! – An eine Verfolgung war für den eher bedächtigen und leibstarken Schulleiter nicht zu denken, der jedoch wutentbrannt den Kavalier verleugnete und der Dame einen Apfelbutzen hinterherschleuderte, den er als Überrest seines Pausenverzehrs noch in der Hand hielt. (Aus heutiger Sicht mag dies fast schon den Eindruck des Gewalttätigen erwecken, damals war man noch nicht so empfindlich: Der Schulleiter pflegte die jungen Kolleginnen ohnehin gern öffentlich als „junges Gemüse“ zu bezeichnen, und mit Kraut und Rüben wurde offenbar nicht viel Federlesens gemacht.)

Die Vorgänge während der Lehrerratssitzungen brachten das Fass jedoch zum Überlaufen. Der Direktor konstatierte einen empörenden Mangel an Schulzucht, insbesondere bei den Lehrerinnen, den er umgehend in einem seiner legendären Rundschreiben unnachsichtig geißelte. Während er sich auf den Sitzungen „um Existentfragen (sic) der gesamten Anstalt“ bemühte, trieben die jungen Frauen ihr Allotria -! Abgründe taten sich auf, schwerste dienstliche Verfehlungen deuteten sich an, deren weiteres Vorkommen Eingang in die „Personalakten“ finden würde.

Ja, so müssen sie gewesen sein, die goldenen fünfziger Jahre. Es waren noch patriarchalische Zeiten, und die Herren Lehrer, die soeben noch ganz Europa mit Krieg überzogen hatten, wollten sich verständlicherweise nun mal etwas ausruhen und sehnten sich nach der Übersichtlichkeit und Ordnung der guten alten Zeit.

Der Schulleiter greift durch

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