Schulgeschichte

Corrida de Cerdos: Sautreiben am RWG

Rechts das Gebäude der Töchterschule, links im Hintergrund die alte Wolfsgasse. Auf der rechten Seite der Gasse lag die Viehhandlung von Hans Hollfelder. Aufnahme nach 1910

Es war einmal vor langer, langer Zeit, d. h. in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, da sah es rund um das heutige RWG noch ganz anders aus. Da gab es noch keinen Wittelsbacherring, den städtischen Ring, der heute an der Schule vorbeiführt und auf dem der Verkehr braust – und wie er manchmal braust.

Da gab es nur die schmale Wolfsgasse mit ihrem holprigen Kopfsteinpflaster und ihren alten Häusern, die so geduckt, verschoben und verwinkelt waren wie viele Stadtteile im alten Bayreuth und an denen der Zahn der Zeit merklich genagt hatte. Das „neue“, sich weltoffen und großstädtisch gebende Bayreuth, das sich zudem einmal im Jahr während der Festspielzeit mit dem Titel „Weltstadt auf Zeit“ schmückt und sich zudem klangvoll als „Universitätsstadt“ tituliert, dieses Bayreuth ist eher ein Produkt städtebaulicher und struktureller Maßnahmen der sechziger und siebziger Jahre.

An der Einmündung der engen und eher dunklen Wolfsgasse in die repräsentativere und bisweilen großbürgerliche Bismarckstraße bzw. Leopoldstraße wurde 1908 die Höhere Töchterschule errichtet, aus der sich das heutige Richard-Wagner-Gymnasium entwickelte. Die Wolfsgasse blieb eher kleinbürgerlich-handwerklich geprägt, in der Gaststätten, eine Apotheke, Kaufläden und Händler ihren Standort hatten. Und hier lag auch der Betriebshof des Vieh- und Pferdehändlers Hans Hollfelder, Wolfsgasse 5, eines stadtbekannten Bayreuthers, dessen Betrieb an das heutige RWG angrenzte. (Noch zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts schmückte ein Ladenschild mit der Inschrift „Vieh- und Pferdehandlung“ das Anwesen. Sooft ein neues Pony angeliefert wurde, rückten die pferdenärrischen Schülerinnen des RWG zum Bestreicheln an.)

Vieh- und Pferdehändler Hans Hollfelder. Aufnahme von 1974. Familie Hollfelder, Bayreuth

Die Geschichte, die es nun zu erzählen gilt, spielte sich um die Mitte der siebziger Jahre ab. Die Bauarbeiten, die schließlich zur Umgestaltung der Wolfsgasse in den heutigen Ring führten, wobei die alte Wolfsgasse verschwand, hatten bereits eingesetzt. Der Französisch-Kurs der 13. Klasse fristete wegen der damaligen Raumnot sein Dasein im Untergeschoss des neuen Mittelbaus und gab sich mehr oder weniger lustvoll dem Fremdsprachen-Unterricht hin.

Plötzlich tauchte vor dem ebenerdigen Fenster des Klassenzimmers etwas noch nie Dagewesenes auf: Eine stattliche ausgewachsene Sau hielt ihren Rüssel an das Fensterglas und folgte interessiert dem Unterrichtsgeschehen! Sie hatte sich, offenbar hungrig, vermutlich auch nach Bildung, vom Hof von Hans Hollfelder aufgemacht und war durch ein Loch im Zaun auf den Schulhof gelangt. Doch das Französische schien sie schnell zu langweilen, sie drehte sich um und begab sich zu weiteren Erkundungen in die Fahrradhalle.

Doch da hatte sie die Rechnung ohne die Schülerinnen gemacht. Es gab kein Halten mehr. Böse Zungen behaupteten später, sie hätten nur vom Unterricht ausbüxen wollen, aber der Psychologe weiß es besser: In den Abiturientinnen wurden die „ungeordneten Instinkte“ (Thomas Mann) ihrer jungen Jahre wach, alle fuhren hoch, mit Geschrei stürmten einige Schülerinnen dem Borstenvieh hinterher und machten sich anheischig das flüchtige Vieh in bester Cowboy-Manier einzufangen und es seinem vorbestimmten Schicksal auf dem Viehhof zurückzuführen. Stampede!

Aber das war nicht so einfach, wie sich schnell herausstellte. Das Schwein zeigte sich renitent, wollte in seiner neuen Umgebung verbleiben und widersetzte sich hartnäckig allen Versuchen in die Nähe des Lochs im Zaun gedrängt zu werden! – Inzwischen hatte aber Viehhändler Hollfelder den Verlust seines Borstentiers bemerkt, wahrscheinlich war er auch durch das Geschrei der Schülerinnen schnell aufmerksam geworden. Mit einem Lasso ausgerüstet betrat er den Schulhof, um das entsprungende Tier wieder einzufangen.

Aber auch das gelang nicht auf Anhieb, und mittlerweile war die ganze Schule auf die Vorgänge aufmerksam geworden. Die Schülerinnen aller Klassen drängten sich an die Fenster, um wie auf den Logenplätzen in der Stierkampfarena von Pamplona der Tierhatz beizuwohnen. Der komplette Unterricht brach zusammen, laut wurde Matador Hollfelder angefeuert, fachmännisch wurden die Aktionen des fränkischen Toreros gewürdigt: Caramba! Karacho! Olé! Die Stimmung in der Arena kochte!

Und – es gelang! Meister Hollfelder fesselte seine Sau, Mensch und Tier verzogen sich wieder in den Viehhof. Es ist in den Schulakten nicht verzeichnet, aber man darf es unterstellen: Beifall muss aufgebraust sein, mit stolzgeschwellter Brust schritt der Matador auf und ab, schmachtende Blicke wurden ihm, dem Inbegriff von Männlichkeit und Stärke, zugeworfen!

Ja, das gab es einmal mitten in der Stadt: Gymnasium und Viehhandlung in nachbarschaftlicher Koexistenz.

Straßen- und Bauarbeiten neben der Schule am Wittelsbacherring 1975. Die alte Wolfsgasse verschwand.

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