Schulgeschichte

Der Hosenträgerinnen-Skandal 1958 oder Der Untergang des Abendlandes, neue Folge

In Jeans und Minrock: Abiturjahrgang 1968

Im Weltkrieg durften auch die Frauen die Hosen anziehen und sich in den Fabriken nützlich machen, aber dann hatten wieder die Männer die Hosen an: Auch an der Schule waren diese Kleidungsstücke nach 1945 bei den Schülerinnen wie bei den Lehrerinnen erneut in Acht und Bann.

Besonders die neumodischen amerikanischen „Nietenhosen“, wie sie auch die amerikanischen Soldaten trugen und die dann als „Jeans“ bekannt wurden, standen unter Verdacht: Sie waren in den 50er Jahre des letzten Jahrhunderts das Markenzeichen von Hollywood-Rebellen wie James Dean oder der existentialistisch angehauchten Großstadt-Jugendlichen oder von „Rockern“, von denen man auch schon in Bayreuth gehört hatte. Aber die Schülerinnen des Mädchenrealgymnasiums trugen so etwas nicht, selbstverständlich auch nicht die Lehrerinnen.

Umso alarmierter war Schulleiter Dr. Glöckel, als 1958 plötzlich Schülerinnen in den neumodischen Hosen an der Schule aufkreuzten. Glöckel war nicht der Mann, der hier billige Ausreden gelten ließ wie „daß die Röcke nur zu leicht in die Speichen der Fahrräder flattern“ usw. Auch die Lehrerinnen, die damals nach Dienstschluss im Fichtelgebirge dem Wintersport frönen wollten, hatten sich mittags in den Keller zu verfügen, durften erst dort in die Skifahrer-Hosen steigen und mussten die Schule durch den Hintereingang verlassen.

Schulleiter Glöckel konnte der Entwicklung nicht tatenlos zusehen. Er erkannte was die Stunde geschlagen hatte: Der Untergang des Abendlandes stand – wieder einmal – bevor, die sittliche Verwilderung, ein neuer Triumph des Kulturbolschewismus. (Dass es in der Nachkriegszeit vielleicht auch andere Probleme gab und dass er und seine Kollegen wenige Jahre vorher im Dienst der Wehrmacht die halbe Welt in die Luft gesprengt hatten: derart kleinliche Bedenken konnten und durften ihn nicht beirren.)

Am 9. Mai 1958 hing dann der legendäre Aushang im Lehrerzimmer, mit dem sich der Schulleiter gegen die neue „Hosenmanie“ positionierte. Vorsichtshalber setzte er die Unaussprechlichen in Anführungszeichen:

Schülerinnen in „Hosen“

Der Schulleiter hatte zudem beobachtet, dass die neuartigen weiblichen Kleidungsstücke in vielen Farben schillerten. Hatte vielleicht eine Schülerin bereits die berüchtigten blauen Nietenhosen angelegt?

Es fällt auf, daß einige Schülerinnen Hosen in buntesten Farben tragen.

Der Anstaltsleiter diagnostizierte, dass hier lediglich „Geckenhaftigkeit, Modesucht, das Bestreben aufzufallen“ zum Vorschein kamen. Damals wie heute regte sich allerdings sogleich die Furcht vor unliebsamer Publicity:

Wir wollen keine große Aktion daraus machen, sonst kommen wir noch in die Feder eines Zeitungsreporters.

Da Herr Glöckel aber nicht selbst Hand an die Hosen der Schülerinnen legen konnte, schickte er mit pädagogischer Raffinesse die Lehrerinnen vor. Sie sollten ihren jüngeren Geschlechtsgenossinnen ins Gewissen reden und sie vom Tragen des den Männern vorbehaltenen Beinkleids abhalten. Und in der Tat berichteten später ehemalige Schülerinnen, dass ihnen fortan Lehrerinnen auflauerten, um sie von ihrem Tun abzubringen:

Ich schlage aber vor, daß vor allem unsere Damen im Lehrerkollegium die einzelnen Hosenträgerinnen (sic!) ganz privat und keineswegs vor der Klasse dahin beeinflussen, die Torheit wieder abzulegen.

Der Aushang endet mit einem dramatischen Appell:

Bauen wir vor!

Der Auhang im Lehrerzimmer 1958

Aber der Schulleiter ließ es nicht mit diesem internen Aushang sein Bewenden haben. Er versicherte sich des Beistands von Pfarrer Kraeter vom Elternbeirat. Gemeinsam wendeten sie sich im gleichen Schuljahr in einer „Bitte an die Eltern“ an die Erziehungsberechtigten. Allerdings ruderten sie nun schon vorsichtig zurück: Im Rundschreiben wird nur noch die „auffallende Übertreibung in modischer Hinsicht“ angeprangert, aber alle wussten, wovon die Rede war. Zudem wurde in der Bitte unmissverständlich der Einsatz der bewährten weiblichen kosmetischen Hilfsmittel wie Lippenstift, Nagellack „u. ä.“ kritisiert:

Es sei auch ein Hinweis auf den Gebrauch kosmetischer Mittel (Lippenstift, Nagellack u. ä.) erlaubt. Hier gilt das alte Wort, daß ein Weniger oft ein Mehr ist. Schülerinnen höherer Schulen sollten auch in diesem Punkt Zurückhaltung üben.

Das Rundschreiben an die Eltern 1958

Damals (wie noch heute) blieb bei derartigen pädagogischen Bemühungen der Erfolg nicht aus. Viele Schülerinnen legten in der Tat bald wieder die Hosen ab. Sie zogen nun lieber die knallkurzen Miniröcke an, die seit 1962 besonders Mary Quandt in England populär gemacht hatte. Schulleiter Glöckel ging 1963 in den Ruhestand und musste dies nicht mehr durchmachen. Sein Nachfolger Hopf hütete sich offenbar vor weiteren Eingriffen in das Modegeschehen, es finden sich keine diesbezüglichen Auslassungen von ihm im Schularchiv.

Abiturfeier 1969

Oberstufe in Wien 1970

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