Schulgeschichte

„… hierzu freie meublierte Wohnung und Beheizung“: Das Schicksal der Fräulein Lehrerinnen

Fräulein Else Birnstein, erste Reihe Mitte, mit ihrer Abschlussklasse 1915

Bedeutungsschwer definiert das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Bildungswesen (salopp abgekürzt als BayEUG) schon in seinem zweiten Artikel, dass es zu den „Aufgaben der Schulen“ gehört, „auf Arbeitswelt und Beruf vorzubereiten, in der Berufswahl zu unterstützen und dabei insbesondere Mädchen und Frauen zu ermutigen, ihr Berufsspektrum zu erweitern“. Es wird also als selbstverständlich vorausgesetzt, dass die Jungen und eben vor allem auch die Mädchen eine Schulbildung erhalten müssen und anschließend ein Ausbildung erhalten sollen, um später einmal beruflich ihren Mann bzw. ihre Frau stehen zu können. Es gibt übrigens auch heute noch Länder, in denen aus traditionellen, meist religiösen Gründen ganzen Bevölkerungsgruppen, speziell den Frauen, das Berufsleben weitgehend versperrt ist. Über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Aussperrung der Hälfte der Bevölkerung muss hier nicht weiter spekuliert werden.

Aber auch hierzulande war es ein weiter Weg bis zur selbstverständlichen Berufstätigkeit auch der Frauen. Hier muss man allerdings genau zwischen den verschiedenen sozialen Ebenen unterscheiden. Wie zu allen Zeiten stellte sich das Problem für die Frauen der unteren Schichten nicht: Ihnen stand wie selbstverständlich ein Leben voller Arbeit, Sorgen, Not und Müh‘ bevor. Die Landfrauen durften im Schweiße ihres Angesichts arbeiten, für die Arbeiterfrauen gab es vielleicht eine Stelle in einer der neuen Fabriken, die Frauen der Handwerker und der einfachen Gewebetreibenden hatten „mitzuarbeiten“. Für die Frauen der besseren und höhergestellten Schichten war ein anderer Lebensweg vorgezeichnet. Einerseits war man hoffentlich durch die Aussicht auf eine Erbschaft, die dereinst dem begüterten Elternhaus entspringen würde, ohnehin vieler Sorgen ledig. Andererseits war es aber die selbstverständliche Bestimmung, einmal als Gattin, Hausfrau und Mutter der Kinder eines angesehenen und seinerseits begüterten Ehemanns ein repräsentatives und bürgerlich-behagliches Leben zu führen – ein Leben, bei dem die harte Arbeit die anderen tun. Eine Berufsausbildung im eigentlichen Sinne hatten diese Frauen nicht, dies war für sie auch nicht sinnvoll und nicht standesgemäß. (Für sie gab es Bildungseinrichtungen wie die 1867 gegründete „Höhere Töchterschule in Bayreuth“.)

Wie aber stand es mit den Frauen, die noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts einer problematischen „Zwischenschicht“ angehörten, die also nicht dem Landvolk oder der Arbeiterschaft, sondern einem gebildeten Bürgerstand entstammten, die andererseits aber auch nicht die materielle Absicherung des gehobenen Bürgertums besaßen? Die also darauf angewiesen waren, sich mit der eigenen Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, die jedoch nicht für sie bereits „unstandesgemäße“ Arbeiten verrichten wollten oder konnten? Hier sah es sehr problematisch aus, denn für diese Frauen gab es noch lange Zeit nur ganz wenige berufliche Möglichkeiten, etwa als Gouvernante in der Kindererziehung, als „Gesellschafterin“ oder „Reisebegleiterin“ in den vornehmen Kreisen oder, anfangs sehr begrenzt, im Bereich der Kranken- und Altenpflege.

Eine weitere Möglichkeit war eine Ausbildung zur Lehrerin, die ungefähr so aussah: Nach dem Besuch einer Töchterschule oder durch eine Vorbereitung mit Privatunterricht konnten die jungen Mädchen, die oft erst 16 Jahre alt waren, in eine „Selecta“ eintreten, eine Vorbereitungsschule, die etwa eineinhalb Jahre dauerte und mit einer Lehrerinnen-Prüfung vor einer Prüfungskommission abschloss. Als „geprüfte Lehrerin“ konnte man sich nun auf eine der Stellen bewerben, wie sie etwa von der Höheren Töchterschule in Bayreuth ausgelobt wurden. Etwas besser qualifiziert waren die Besucherinnen von „Lehrerinnenseminaren“, die es allerdings nur im fortschrittlichen Preußen und Sachsen gab. Manche Lehrerinnen hatten auch gar keine Prüfungszeugnisse, sie konnten „nur“ Zeugnisse von Familien vorweisen, in denen sie als Erzieherinnen tätig gewesen waren. Man darf sich allerdings nicht täuschen: Vor allem die Fremdsprachenkenntnisse dieser Frauen müssen bisweilen vorzüglich gewesen sein, sie konnten oft jahrelange Aufenthalte in Ausland vorweisen. Auch der „Unterrichtsrath“ der Höheren Töchterschule in Bayreuth war mit der Qualität des Unterrichts durch diese Frauen meist durchaus zufrieden, die zudem den unschlagbaren Vorteil hatten, dass ihre Entlöhung wesentlich geringer als die von vergleichbaren ausgebildeten Lehrern war. –

Damit beginnt die Geschichte der Fräulein Lehrerinnen der Höheren Töchterschule in Bayreuth, des heutigen Richard-Wagner-Gymnasiums. 1867 gegründet, galt es natürlich als selbstverständlich, dass die Leitung einer Schule, auch wenn es „nur“ eine private Anstalt für Mädchen war, trotzdem nur durch einen Mann erfolgen konnte, „ohne in den meisten Fällen die Handhabung des Disciplin in bedenklicher Weise gefährdet zu sehen“, wie das „Bayreuther Tagblatt“ am 6. August 1867 textete. Dankenswerterweise übernahm nun Georg Grossmann, der Direktor des humanistischen Gymnasiums, die Schulleitung und beaufsichtigte sie nebenamtlich. Auf Grossmann folgten Georg Heidner und Karl Kesselring als Anstaltsleiter, aber erst 1913 trat mit Gustav Pauli der erste hauptamtliche Direktor der Schule an.

Problematisch aber war die Anwerbung von weiterem Lehrpersonal. Einen Teil des Unterrichts übernahmen Professoren des Humanistischen Gymnasiums, also Kollegen von Direktor Grossmann. Auch Pfarrer und Rabbiner waren im Kollegium vertreten. Sie waren akademisch gebildet, hatten ein gesichertes Einkommen und sogar Anrecht auf eine Pension. Den Unterricht an der Töchterschule betrieben sie eher im Nebenamt, ohne belastende Tätigkeiten wie Aufsichten oder organisatorische Pflichten. Hinzu kam ein ausgebildeter Volksschullehrer, Georg Hoffmann, der von 1867 bis 1878 an der Schule war, und der die Fächer unterrichten sollte, die er auch an der Volksschule gegeben hatte. Die Stelle galt als ehrenvoll, aber sie war schlecht bezahlt. Sogar der Schulgründer, Spinnereidirektor Carl Kolb, setzte sich bei den staatlichen Stellen für eine Gehaltsaufbesserung ein, jedoch ohne Erfolg.

An die Seite von Volksschullehrer Hoffmann sollten zwei hauptamtliche Lehrerinnen treten, so wurde es bereits im Jahr der Schulgründung 1867 beschlossen. Eine sollte die Stunden für die „weiblichen Arbeiten“, also die Handarbeiten, übernehmen, die andere war vor allem für den Unterricht in den modernen Fremdsprachenunterricht vorgesehen, zumal die studierten Herren Lehrer ja eher für das noblere Latein und das bildungsstolze Griechisch zuständig waren. Die Absicht des „Unterrichtsraths“ war löblich, aber die konkrete Umsetzung beanspruchte oft viel Zeit.

Am 14. Oktober 1867 kam es anfangs jedoch rasch zur ersten hauptamtlichen Anstellung einer Lehrerin besonders für die Fremdsprachen. Fräulein Johanna Ströbl unterrichtete fortan Französisch, Englisch, Handarbeiten und „Anstandslehre“ an der Schule. (Dass sie auch in Handarbeiten unterwies, galt als besonders praktisch: Sie konnte dabei französisch mit den Mädchen parlieren.) Sie gab 19 Stunden, musste aber zusätzlich stets die Schülerinnen beaufsichtigen.

Später wurden jedoch aufwändige Ausschreibungen notwendig, um geeignetes Unterrichtspersonal zu finden. Aus den Unterlagen der folgenden Jahre wird deutlich, dass zwischen 1878 und 1891 die Schule dann insgesamt sieben Ausschreibungen für die Stellen von Lehrerinnen veranstaltete. Die Anzeigen wurden nicht nur in der regionalen Presse, sondern auch in auswärtigen Blättern aufgegeben. Es gingen Bewerbungen aus dem gesamten Reichsgebiet ein. Die Zahlen schwanken zwischen 21 und 137 (!), ein deutlicher Hinweis darauf, dass es – schon damals – ein Überangebot von Lehrpersonal auf dem Arbeitsmarkt gab. Eine der ersten Stellenanzeigen von 1878 lautet wie folgt:

An der hiesigen höheren Töchterschule ist die Stelle einer geprüften Lehrerin im Französischen und Englischen bis Mitte September zu besetzen. Maximum der Stunden bis 22; Gehalt vorläufig 900 M [jährlich!], hierzu freie meublierte Wohnung und Beheizung. Turnunterricht gegen besonderes Honorar. Meldungen unter Beilage der erforderlichen Zeugnisse bis 16. Juni an das Directorium.

1869 kam es aber schnell zur Besetzung der zweiten hauptamtlichen Stelle für eine Lehrerin. Es ging jetzt um die Anstellung der „Arbeitslehrerin“, d. h. einer Handarbeitslehrerin. Vor allem sollten die Bewerberinnen die Befähigung für das „Weißnähen“ besitzen. Schulleiter Grossmann nahm die Sache so ernst, dass er die (männlichen) Mitglieder des Unterrichtsraths aufforderte, sich mit ihren Frauen wegen der Eignung der Bewerberinnen zu beraten. (Spinnereidirektor Carl Kolb regte an, dass in der unteren 5. Klasse jedoch zuerst das Stricken gelehrt werden müsse; erst in den oberen Klassen dürfe das Weißnähen und das Sticken, dann aber ausschließlich, unterrichtet werden.) Auf Fräulein Magdalena Hacker aus Bayreuth, Tochter einer Assessorswitwe, fiel dann schließlich die Wahl unter elf Bewerberinnen.

Als Fräulein Hacker 1878 aus dem Schuldienst ausschied, kam nun Fräulein Therese Pabst, die Tochter eines pensionierten Bataillionsquartiermeisters, zum Zug. Sie blieb als „Arbeitslehrerin“ die lange Zeit bis 1908 an der Schule. Sie war keine Absolventin einer Lehrerinnenbildungsanstalt, sondern konnte vorzügliche Zeugnisse als Erzieherin und Hauswirtschafterin vorweisen. Direktor Grossmann wies sie am Tag ihres Dienstantritts in ihre Pflichten ein, wobei mit „Lesen“ hier offenbar „Vorlesen“ und mit „keine Familienangelegenheiten“ hier offenbar der städtische Klatsch gemeint war:

1. Methodisches Arbeiten. Kein Lesen während des Arbeitsunterrichts. Keine Weihnachtsarbeiten.
2. Entschiedenes Auftreten. Sprache, Haltung, Reinlichkeit der Schülerinnen. Absolute Ruhe.
Erste bis dritte Klasse: Du – Anrede
Vierte bis fünfte Klasse: Sie – Anrede
3. Keine Kritik der früheren Arbeiten. Keine Familienangelegenheiten, keine Stadtneuigkeiten.

Eine weitere Lehrerin war Fräulein Else Birnstein, geboren am 10. August 1867 in Sonderhausen, wo sie 1886 auch vor der Fürstl. Schwarzburgischen Prüfungskommission für mittlere und höhere Mädchenschulen angetreten war. Auch ihr „sittliches Verhalten“ konnte hier als „tadellos“ beurteilt werden. Aufgrund ihres mehr als erfreulichen Zeugnisses trat sie 1891 in die Dienste der Schule, und Direktor Grossmann musste besonders ihre Schrift mit „s.s.g.“ benoten: „sehr sehr gut“. Else Birnstein unterrichtete besonders in Englisch und Französisch, und das mit großem Erfolg: Ihre Schülerin Emmy Rindsberg, der noch 1941 die Flucht aus Nazi-Deutschland in die USA gelang, berichtet in ihren Erinnerungen, dass es vor allem die durch Else Birnstein erlangten Kenntnisse waren, die ihr das Überleben in den USA ermöglichten.
Else Birnstein ist die einzige der Fräulein Lehrerinnen, von der Bilder erhalten sind. Für die Schülerinnen war die elegante Dame aus Sonderhausen das „Ideal“, wie es in den Erinnerungen einer Schülerin des Jahrgangs 1906 heißt:

Fräulein Birnstein war das Ideal für uns junge Mädchen: lieblich anzusehen, mit thüringischer Sprache, die damals für unsere Ohren sehr nett klang, und jeden Tag frisch und entzückend gekleidet. Bei ihr gab es Fleißstriche und -punkte, was für uns sehr anreizend war, gut zu lernen.

Else Birnstein mit ihren Schülerinnen im Zeichensaal 1919

Um Else Birnstein rankt sich zudem eine geradezu romanhafte Legende, die nicht in den Schulpapieren verzeichnet ist, die aber noch viele Jahre an der Anstalt erzählt wurde: Auf die anmutige Lehrerin fielen auch die Augen eines jungen Offiziers der Bayreuther Garnison, und, in Liebe entbrannt, hielt er schließlich um die Hand des Fräuleins an. Man kann sich vorstellen, wie sämtliche Schülerinnen mit ihrer Lehrerin fühlten! – Doch für eine Eheschließung musste der junge Held die Heiratserlaubnis des kommandierenden Offiziers einholen, und diese Erlaubnis wurde selbstverständlich verweigert: Für einen Offizier, der Verpflichtungen hatte, kam nur eine standesgemäße Eheschließung mit einer reichen Frau in Betracht, die Heirat mit einem armen Fräulein Lehrerin war indiskutabel. –

Die Aufzählung der Fräulein Lehrerinnen, die an der Höheren Töchterschule bis zum Ersten Weltkrieg und noch darüber hinaus tätig waren, ließe sich noch lange fortsetzen. Eine Zusammenstellung von Luise Dietzfelbinger von 1994 listet insgesamt zehn Fräulein Lehrerinnen auf, von denen Arbeitspapiere erhalten sind und die von 1867 bis 1927 an der Schule tätig waren. Zu ihnen kommt noch eine große Zahl von Lehrerinnen, die, da ohne berufliche Qualifizierung, als „billige“ Lehrerinnen angestellt wurden – die aber durchaus durch ihre Vorkenntnisse als Erzieherinnen besonders in den modernen Fremdsprachen unterrichten konnten.

Wer nun denkt, dies ist ein Bericht aus der guten alten Zeit, der geht in die Irre. Die gute alte Zeit war nicht immer gut. In den Schulpapieren wird immer die Bezeichnung „Fräulein Lehrerin“ verwendet, und das aus einem bestimmten Grund: Bis zum Jahr 1953 (!) galt in Bayern und in anderen Bundesländern der „Lehrerinnen-Zölibat“, der 1880 im Deutschen Reich per Ministerialerlass eingeführt worden war. Erst 1957 wurde durch das Bundesarbeitsgericht diese Klausel endgültig verboten, die es Lehrerinnen untersagte zu heiraten. Heiratete die Lehrerin, musste sie den Schuldienst verlassen. Einer eventuell verbeamteten Lehrerin konnten bisweilen sogar der Beamtenstatus sowie die Pensionsansprüche entzogen werden. Dies wurde mit allerlei moralischen und fürsorglichen Argumenten verbrämt, da man Lehrerinnen beispielsweise die „Doppelbelastung“ von Ehe und Beruf ersparen wollte. Zudem sollten sich die Frauen (nicht die Herren) ausschließlich um ihren Lehrerberuf kümmern. Für die Herren Lehrer war der Zölibat aber ein überaus praktisches Mittel, um sich berufliche Konkurrenz vom Hals zu halten. Der Lehrerinnen-Zölibat erklärt auch, warum einige (wenige) Lehrerinnen nur kurze Zeit an der Höheren Töchterschule waren: Sie konnten und wollten sich offenbar verheiraten.

Das Schicksal der Fräulein Lehrerinnen, die im Schuldienst verblieben, war nicht immer rosig. Ihre Bezahlung war eher mäßig, das Ansehen bei den wohlsituierten Eltern und Honoratioren wohl nicht gleichbleibend hoch, und im Alter stand man als unverheiratete Frau oft alleine da und konnte froh sein, wenn man Anschluss an eine Familie, Freunde oder Verwandte fand. Aber diese Frauen hatten hoffentlich den Trost, dass sie, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, schon zu ihrer Zeit ein selbstbestimmtes Leben geführt hatten.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner