Das Tanzen avancierte im 19. Jahrhundert zu einem überaus wichtigen Bestandteil des bürgerlichen Lebens. Es war ein bedeutendes Freizeitvergnügen, eine der wenigen Möglichkeit dem Bewegungsdrang öffentlich Luft zu verschaffen und sich in angemessenem Outfit und in standesgemäßer Gesellschaft selbst darzustellen. Die Schülerschaft markierte damals wie heute mit einem Abschlussball die erlangte Reife.
Vor allem war das Tanzen für die höheren Töchter von größter Wichtigkeit: Hier war eine der eher seltenen und daher oft sorgfältig arrangierten Gelegenheiten, bei denen der Heiratsmarkt offiziell eröffnet war. Unter den aufmerksamen Blicken der Eltern wurden die jungen Frauen „in die Gesellschaft eingeführt“, die Heiratskandidatinnen und -kandidaten konnten sich gegenseitig inspizieren, beschnuppern und auf Tuchfühlung gehen. Bürgerball, Ressourcentreffen und Tanztee entwickelten sich daher auch in Bayreuth zu wichtigen Ereignissen, die (Jagd-)Saison begann.
Unter diesen Umständen geriet die höhere Töchterschule jedoch in die Bredoullie. Denn einerseits galt das bewährte Prinzip der „Education“: Jungen wie Mädchen wurden – selbstverständlich nur an den „höheren“ und „weiterführenden“ Schule – strikt getrennt und verschieden erzogen. Die Unterrichtsinhalte und -ziele konnten unmöglich identisch sein, und sittliche Irrungen und Wirrungen, die sich bei einer Vermischung der herauswachsenden jungen Leute hätten ergeben können, sollten von vornherein unterbunden werden. Was Gott getrennt hatte, sollte der Mensch nicht verbinden.
Anderseits war jedoch auf eine standesgemäße Ausbildung der höheren Töchter zu achten, zu der auch unabdingbar gesellschaftlicher Schliff und damit auch die Fähigkeit zum Gesellschaftstanz gehörte: Stets drohte die Gefahr, als unverheiratetes Mauerblümchen sitzenzubleiben. Die Väter und die Mütter mussten allerhöchstes Interesse haben, dass ihre Töchter auf dem Parkett in den Armen eines heiratswilligen Tanzpartners bella figura machten.
Anfangs gab es offenbar auch keine Probleme. Gymnasialdirektor Grossmann, erster Schulleiter seit 1867, gestattete im Jahr 1883, dass die Schülerinnen der höheren Töchterschule, die er nebenamtlich betreute, mit den Schülern seines eigenen humanistischen Gymnasiums auf dem Tanzboden ins Gemenge kamen:
Den Schülerinnen der nächstjährigen V. Klasse wurde gestattet, an dem morgen beginnenden 14tägigen Tanzunterricht mit Schülern der nächstjährigen Oberklasse des Gymnasiums teilzunehmen.
Schulrat Kesselring, seit 1898 Vorstand des Direktoriums, behandelte die Angelegenheit nicht mehr auf so heiter-humanistische Art. Einerseits fortschrittlich und modern – er mauserte sich alsbald zum Kämpfer gegen das Korsett bei den Schülerinnen – , wandelten ihn hier Bedenken sittlich-pädagogischer Natur an. Er, der Verfasser der „Disziplinar-Ordnung der höheren Töchterschule“, der alsbald stadtbekannten „Schulzucht“, witterte hier Vergnügungen, die „nur dem reiferen Alter“ vorbehalten sein sollten, da sie „den Sinn zu sehr zerstreuen“. So formulierte er es 1896 in der Schulzucht und verbot darin den Schülerinnen „der Anstalt“ kurzerhand die „Tanzunterrichte“, „Bälle“ und „Tanzvergnügungen“.
Allerdings versuchte er auch Rückendeckung höheren Orts zu erhalten. In seinem Jahresbericht an die Kgl. Regierung von Oberfranken meldete er 1899, dass „eine Anzahl Schülerinnen des V. Kurses“ den Antrag gestellt hatte, „noch während der Schulzeit den Tanzkurs besuchen zu dürfen“. Er ersuchte um eine „Verordnung der hohen Kreisregierung“, die die Angelegenheit verbindlich regeln sollte, und plädierte in seinem Schreiben dafür, „daß unsere Mädchen nicht schon mit 15 Jahren, sondern erst in etwas reiferem Alter als neue Erscheinung in der Gesellschaft und damit im öffentlichen Leben eingeführt werden“.
Eine Verordnung der hohen Kreisregierung traf dann schließlich ein, und sie war offenbar ganz in seinem Sinne. Und als dann im Jahr 1904 vier Schülerinnen ertappt wurden, die an einem Tanz der Abituria teilgenommen hatten, der Vereinigung der Schüler des humanistischen Gymnasiums, wurde nach einer erregten Diskussion im Lehrerrat schließlich den Schülerinnen feierlich die Entlassung angedroht. Zudem wurde nun am 20. Oktober ein offiziell gedrucktes Schreiben an die Eltern herausgeben, in dem Kesselring unter Berufung auf die einschlägigen Paragraphen und Regierungsanordnungen den Tanzunterricht und das Tanzen untersagte – „um unliebsamen Vorkommnissen vorzubeugen“. Da ihm auch beim Eislauf „der Verkehr mit Schülern“ ein Dorn im Auge war, wurde eben dieser Verkehr ebenfalls verboten, „soweit nicht verwandtschaftliche Beziehungen in Frage kommen“. Im Falle von „Zuwiderhandlungen“ wurde die Möglichkeit der Entlassung aus der Schule angedroht, und wenig verbindlich und wie nebenbei wurde am Ende des Schreibens auch darauf hingewiesen, dass Schülerinnen, die vor dem Ablauf ihrer Schulpflicht die Anstalt verlassen wollten, wieder der Disziplinargewalt der Volksschulen unterstehen würden.
Das Schreiben Kesselrings vom 20.10.1904
Damit hatte sich die Schule aber selbst Probleme eingebrockt. Das Schreiben öffnete vorerst der Denunziation Tür und Tor, denn die aufmerksamen Bayreuther meldeten sofort, vorzugsweise in anonymen Schreiben, wenn eine der Schülerinnen beim verbotenen Tanzen beobachtet worden war. Kesselring nahm diese Schreiben zur Kenntnis. Und als dann gleich 1905 ein anonymer Brief eintraf, dass „die H.“ an einem „Maskenscherz“ teilgenommen und getanzt hatte, sah er sich veranlasst ein Exempel zu statuieren. Der Lehrerrat verhandelte, drohte erneut wie schon beim Vorfall im Jahr 1904 die Entlassung an und schlug vor, dass die Schülerin „freiwillig“ die Schule verlassen solle.
Hier war der Bogen überspannt. Der Vater, erkennbar ein hochgestellter Herr, der seine Tochter für teures Geld an der Schule ausbilden ließ, fand es in einem Schreiben an Kesselring „unbegreiflich“, dass seine 16jährige Tochter wegen dieses Vorfalls die Schule verlassen sollte, wobei sie zudem auch in Begleitung ihrer Mutter das Tanzvergnügen besucht hatte. Gegen Kesselring wurden von dem Vater schwere Vorwürfe erhoben, weil er auf die anonymen Anschuldigungen anderer Leute gehört hatte. Und schließlich gab es für den Herrn Schulmeister noch einen Wink mit dem gesellschaftlichen Zaunpfahl:
Töchter besser gestellter Personen haben andere Rechte als ein Arbeiterkind.
Kesselring und das Lehrerkollegium, deren Anstalt vollständig von der Akzeptanz bei den städtischen Honoration abhängig war, mussten daher schleunigst einlenken. Und so beeilte sich das Kollegium, den Schülerinnen für das kommende Schuljahr 1905/1906 einen Tanzunterricht zu ermöglichen. Stolz präsentierten sich nun die Schülerinnen mit ihren Tanzherren auf dem Gruppenphoto.
Der Tanzkurs im Schuljahr 1905/1906
Nach den Unterlagen wurde gleich anschließend auch 1907 für die Schülerinnen der 6. Klasse sowohl ein Tanzunterricht als auch ein „Anstandsunterricht“ eingerichtet; die Kosten wurden auf „20-25 M.“ beziffert.
1911 gab es dann nochmals eine halbherzige Rolle rückwärts: Für die Schülerinnen der 6. Klasse, die „wie bisher an den Abschlußfeierlichkeiten der Abituria“ teilnehmen wollten – was auch gar nicht mehr untersagt wurde – und die sich dafür mit Tanz- und Anstandsunterricht vorbereiten wollten, wurde ein derartiger Unterricht eingerichtet. Aber ihn sollten nur die Schülerinnen „allein“ besuchen. Der „Lehrer der Tanzkunst Herr Helm aus Hof“ sollte ihn leiten, und Kesselring regte an, dass abwechselnd Lehrer den Kurs besuchten sollten, „dass sich die Schülerinnen beobachtet wußten.“
In der Weimarer Republik gab es dann keine „Schulzucht“ und keine obrigkeitsstaatlichen „moralischen“ Reglementierungen mehr. 1921 nahmen die Schülerinnen wie selbstverständlich Platz, hinter ihnen nahmen die Tanzherren Aufstellung.
Schülerinnen mit Tanzstunden-Herren 1921
In der Nazizeit und besonders im 2. Weltkrieg wurde das Tanzen wieder zu einer problematischen Angelegenheit. Ein „deutsches Mädel“ war sittenrein und tugendhaft und gab sich keinen Ausschweifungen hin. Andererseits musste man gerade in den Kriegsjahren die willkommene Ablenkung der bescheidenen Tanzvergnügungen zulassen. 1943, nach der Niederlage von Stalingrad, war aber auch damit Schluss. In einem in einer Abschrift erhaltenen Brief an den Bayreuther Bürgermeister empörte sich der „Gaupropagandawalter der Gauhauptstelle Propaganda und Presse“, dass ihm hinterbracht worden war, dass Schülerinnen der Schule „in der heutigen Zeit nichts Dringenderes zu tun haben, als die Tanzstunde mitzumachen“ – während an der Ostfront „die Besten des Reiches“ fallen. Der Gaupropagandaleiter plädierte für ein „allgemeines Tanzstundenverbot“. – Schulleiter Knörl nahm zu dem Brief Stellung. Er lehnte nun den Tanzunterricht im Krieg strikt ab.
Nach 1945 kehrte auch an der Tanzfront allmählich Ruhe ein. In den 50er Jahren werden sich sicher manche bei Rock’n’Roll-Hüftschwüngen verletzt haben, dann verlagerte sich der Trubel in die „Diskos“. Aber das Tanzen selbst löste an der Schule nicht mehr wie zu Kesselrings Zeiten Skandale aus. Die Schule richtete selbst Tanzkurse aus, später übernahm die SMV die Organisation. Schülerinnen, Schüler und Lehrer sind Mitglieder in den Bayreuther Tanzvereinen. In Wahlkursen werden klassische und moderne tänzerische Bewegungsabläufe trainiert. Bei Abschlussbällen und Abitur-Feiern wird eine flotte Sohle aufs Parkett gelegt. Zum Erstaunen der Schülerschaft verwandeln sich Lehrer in hohem und höchstem Alter zu versierten Eintänzern und manche Lehrerinnen schinden mit Twist-Einlagen Eindruck.
Tanzkurs-Abschlussball in der Oberfranken-Halle im Schuljahr 2016/17
Das Tanzen avancierte im 19. Jahrhundert zu einem überaus wichtigen Bestandteil des bürgerlichen Lebens. Es war ein bedeutendes Freizeitvergnügen, eine der wenigen Möglichkeit dem Bewegungsdrang öffentlich Luft zu verschaffen und sich in angemessenem Outfit und in standesgemäßer Gesellschaft selbst darzustellen. Die Schülerschaft markierte damals wie heute mit einem Abschlussball die erlangte Reife.
Vor allem war das Tanzen für die höheren Töchter von größter Wichtigkeit: Hier war eine der eher seltenen und daher oft sorgfältig arrangierten Gelegenheiten, bei denen der Heiratsmarkt offiziell eröffnet war. Unter den aufmerksamen Blicken der Eltern wurden die jungen Frauen „in die Gesellschaft eingeführt“, die Heiratskandidatinnen und -kandidaten konnten sich gegenseitig inspizieren, beschnuppern und auf Tuchfühlung gehen. Bürgerball, Ressourcentreffen und Tanztee entwickelten sich daher auch in Bayreuth zu wichtigen Ereignissen, die (Jagd-)Saison begann.
Unter diesen Umständen geriet die höhere Töchterschule jedoch in die Bredoullie. Denn einerseits galt das bewährte Prinzip der „Education“: Jungen wie Mädchen wurden – selbstverständlich nur an den „höheren“ und „weiterführenden“ Schule – strikt getrennt und verschieden erzogen. Die Unterrichtsinhalte und -ziele konnten unmöglich identisch sein, und sittliche Irrungen und Wirrungen, die sich bei einer Vermischung der herauswachsenden jungen Leute hätten ergeben können, sollten von vornherein unterbunden werden. Was Gott getrennt hatte, sollte der Mensch nicht verbinden.
Anderseits war jedoch auf eine standesgemäße Ausbildung der höheren Töchter zu achten, zu der auch unabdingbar gesellschaftlicher Schliff und damit auch die Fähigkeit zum Gesellschaftstanz gehörte: Stets drohte die Gefahr, als unverheiratetes Mauerblümchen sitzenzubleiben. Die Väter und die Mütter mussten allerhöchstes Interesse haben, dass ihre Töchter auf dem Parkett in den Armen eines heiratswilligen Tanzpartners bella figura machten.
Anfangs gab es offenbar auch keine Probleme. Gymnasialdirektor Grossmann, erster Schulleiter seit 1867, gestattete im Jahr 1883, dass die Schülerinnen der höheren Töchterschule, die er nebenamtlich betreute, mit den Schülern seines eigenen humanistischen Gymnasiums auf dem Tanzboden ins Gemenge kamen:
Den Schülerinnen der nächstjährigen V. Klasse wurde gestattet, an dem morgen beginnenden 14tägigen Tanzunterricht mit Schülern der nächstjährigen Oberklasse des Gymnasiums teilzunehmen.
Schulrat Kesselring, seit 1898 Vorstand des Direktoriums, behandelte die Angelegenheit nicht mehr auf so heiter-humanistische Art. Einerseits fortschrittlich und modern – er mauserte sich alsbald zum Kämpfer gegen das Korsett bei den Schülerinnen – , wandelten ihn hier Bedenken sittlich-pädagogischer Natur an. Er, der Verfasser der „Disziplinar-Ordnung der höheren Töchterschule“, der alsbald stadtbekannten „Schulzucht“, witterte hier Vergnügungen, die „nur dem reiferen Alter“ vorbehalten sein sollten, da sie „den Sinn zu sehr zerstreuen“. So formulierte er es 1896 in der Schulzucht und verbot darin den Schülerinnen „der Anstalt“ kurzerhand die „Tanzunterrichte“, „Bälle“ und „Tanzvergnügungen“.
Allerdings versuchte er auch Rückendeckung höheren Orts zu erhalten. In seinem Jahresbericht an die Kgl. Regierung von Oberfranken meldete er 1899, dass „eine Anzahl Schülerinnen des V. Kurses“ den Antrag gestellt hatte, „noch während der Schulzeit den Tanzkurs besuchen zu dürfen“. Er ersuchte um eine „Verordnung der hohen Kreisregierung“, die die Angelegenheit verbindlich regeln sollte, und plädierte in seinem Schreiben dafür, „daß unsere Mädchen nicht schon mit 15 Jahren, sondern erst in etwas reiferem Alter als neue Erscheinung in der Gesellschaft und damit im öffentlichen Leben eingeführt werden“.
Eine Verordnung der hohen Kreisregierung traf dann schließlich ein, und sie war offenbar ganz in seinem Sinne. Und als dann im Jahr 1904 vier Schülerinnen ertappt wurden, die an einem Tanz der Abituria teilgenommen hatten, der Vereinigung der Schüler des humanistischen Gymnasiums, wurde nach einer erregten Diskussion im Lehrerrat schließlich den Schülerinnen feierlich die Entlassung angedroht. Zudem wurde nun am 20. Oktober ein offiziell gedrucktes Schreiben an die Eltern herausgeben, in dem Kesselring unter Berufung auf die einschlägigen Paragraphen und Regierungsanordnungen den Tanzunterricht und das Tanzen untersagte – „um unliebsamen Vorkommnissen vorzubeugen“. Da ihm auch beim Eislauf „der Verkehr mit Schülern“ ein Dorn im Auge war, wurde eben dieser Verkehr ebenfalls verboten, „soweit nicht verwandtschaftliche Beziehungen in Frage kommen“. Im Falle von „Zuwiderhandlungen“ wurde die Möglichkeit der Entlassung aus der Schule angedroht, und wenig verbindlich und wie nebenbei wurde am Ende des Schreibens auch darauf hingewiesen, dass Schülerinnen, die vor dem Ablauf ihrer Schulpflicht die Anstalt verlassen wollten, wieder der Disziplinargewalt der Volksschulen unterstehen würden.
Das Schreiben Kesselrings vom 20.10.1904
Damit hatte sich die Schule aber selbst Probleme eingebrockt. Das Schreiben öffnete vorerst der Denunziation Tür und Tor, denn die aufmerksamen Bayreuther meldeten sofort, vorzugsweise in anonymen Schreiben, wenn eine der Schülerinnen beim verbotenen Tanzen beobachtet worden war. Kesselring nahm diese Schreiben zur Kenntnis. Und als dann gleich 1905 ein anonymer Brief eintraf, dass „die H.“ an einem „Maskenscherz“ teilgenommen und getanzt hatte, sah er sich veranlasst ein Exempel zu statuieren. Der Lehrerrat verhandelte, drohte erneut wie schon beim Vorfall im Jahr 1904 die Entlassung an und schlug vor, dass die Schülerin „freiwillig“ die Schule verlassen solle.
Hier war der Bogen überspannt. Der Vater, erkennbar ein hochgestellter Herr, der seine Tochter für teures Geld an der Schule ausbilden ließ, fand es in einem Schreiben an Kesselring „unbegreiflich“, dass seine 16jährige Tochter wegen dieses Vorfalls die Schule verlassen sollte, wobei sie zudem auch in Begleitung ihrer Mutter das Tanzvergnügen besucht hatte. Gegen Kesselring wurden von dem Vater schwere Vorwürfe erhoben, weil er auf die anonymen Anschuldigungen anderer Leute gehört hatte. Und schließlich gab es für den Herrn Schulmeister noch einen Wink mit dem gesellschaftlichen Zaunpfahl:
Töchter besser gestellter Personen haben andere Rechte als ein Arbeiterkind.
Kesselring und das Lehrerkollegium, deren Anstalt vollständig von der Akzeptanz bei den städtischen Honoration abhängig war, mussten daher schleunigst einlenken. Und so beeilte sich das Kollegium, den Schülerinnen für das kommende Schuljahr 1905/1906 einen Tanzunterricht zu ermöglichen. Stolz präsentierten sich nun die Schülerinnen mit ihren Tanzherren auf dem Gruppenphoto.
Der Tanzkurs im Schuljahr 1905/1906
Nach den Unterlagen wurde gleich anschließend auch 1907 für die Schülerinnen der 6. Klasse sowohl ein Tanzunterricht als auch ein „Anstandsunterricht“ eingerichtet; die Kosten wurden auf „20-25 M.“ beziffert.
1911 gab es dann nochmals eine halbherzige Rolle rückwärts: Für die Schülerinnen der 6. Klasse, die „wie bisher an den Abschlußfeierlichkeiten der Abituria“ teilnehmen wollten – was auch gar nicht mehr untersagt wurde – und die sich dafür mit Tanz- und Anstandsunterricht vorbereiten wollten, wurde ein derartiger Unterricht eingerichtet. Aber ihn sollten nur die Schülerinnen „allein“ besuchen. Der „Lehrer der Tanzkunst Herr Helm aus Hof“ sollte ihn leiten, und Kesselring regte an, dass abwechselnd Lehrer den Kurs besuchten sollten, „dass sich die Schülerinnen beobachtet wußten.“
In der Weimarer Republik gab es dann keine „Schulzucht“ und keine obrigkeitsstaatlichen „moralischen“ Reglementierungen mehr. 1921 nahmen die Schülerinnen wie selbstverständlich Platz, hinter ihnen nahmen die Tanzherren Aufstellung.
Schülerinnen mit Tanzstunden-Herren 1921
In der Nazizeit und besonders im 2. Weltkrieg wurde das Tanzen wieder zu einer problematischen Angelegenheit. Ein „deutsches Mädel“ war sittenrein und tugendhaft und gab sich keinen Ausschweifungen hin. Andererseits musste man gerade in den Kriegsjahren die willkommene Ablenkung der bescheidenen Tanzvergnügungen zulassen. 1943, nach der Niederlage von Stalingrad, war aber auch damit Schluss. In einem in einer Abschrift erhaltenen Brief an den Bayreuther Bürgermeister empörte sich der „Gaupropagandawalter der Gauhauptstelle Propaganda und Presse“, dass ihm hinterbracht worden war, dass Schülerinnen der Schule „in der heutigen Zeit nichts Dringenderes zu tun haben, als die Tanzstunde mitzumachen“ – während an der Ostfront „die Besten des Reiches“ fallen. Der Gaupropagandaleiter plädierte für ein „allgemeines Tanzstundenverbot“. – Schulleiter Knörl nahm zu dem Brief Stellung. Er lehnte nun den Tanzunterricht im Krieg strikt ab.
Nach 1945 kehrte auch an der Tanzfront allmählich Ruhe ein. In den 50er Jahren werden sich sicher manche bei Rock’n’Roll-Hüftschwüngen verletzt haben, dann verlagerte sich der Trubel in die „Diskos“. Aber das Tanzen selbst löste an der Schule nicht mehr wie zu Kesselrings Zeiten Skandale aus. Die Schule richtete selbst Tanzkurse aus, später übernahm die SMV die Organisation. Schülerinnen, Schüler und Lehrer sind Mitglieder in den Bayreuther Tanzvereinen. In Wahlkursen werden klassische und moderne tänzerische Bewegungsabläufe trainiert. Bei Abschlussbällen und Abitur-Feiern wird eine flotte Sohle aufs Parkett gelegt. Zum Erstaunen der Schülerschaft verwandeln sich Lehrer in hohem und höchstem Alter zu versierten Eintänzern und manche Lehrerinnen schinden mit Twist-Einlagen Eindruck.
Tanzkurs-Abschlussball in der Oberfranken-Halle im Schuljahr 2016/17