Der Spaß endet, wo der Spaß beginnt

Der Chor der Eltern und Lehrer (gesprochen von Schülern der Klasse 5c) zeigte die repressive Erwachsenenmoral

Der Chor der Eltern und Lehrer (gesprochen von Schülern der Klasse 5c) zeigte die repressive Erwachsenenmoral

„Hier beginnt der Spaß“, steht auf dem rosa Ballon, den Wendla in der Hand hält. Doch das Leben ist manchmal kein Spaß, und wer bei der Aufführung der „Freien Theatergruppe“ des RWG einen solchen erwartet hatte, sah sich gründlich getäuscht: Wendla ist 14, sie ist schwanger, der ahnungslose Kindsvater ist ein Gymnasiast, kaum älter als sie, und sein bester Freund hat sich gerade umgebracht.

„Jetzt, wo der Sommer kommt…“ hieß der Titel des Stücks, frei nach Motiven von Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“, und er könnte eine fröhliche Romanze unter Teenagern verheißen. Doch diese bleibt aus: Moritz, der in der Schule nichts zuwege bringt, wird von seinen Lehrern, die viel von der „sittlichen Weltordnung“ sprechen, gnadenlos ausgesiebt und zerbricht an dem Druck des Systems. Die Familie, die ein Hort der Geborgenheit sein könnte, ist nicht besser: Noch am Grab des Sohns ist man von der Richtigkeit der eigenen Erziehungsmethoden überzeugt, ohne man verstanden hätte, wie es im Inneren des Sohnes aussieht. Neben der Gefühllosigkeit darf auch die Dummheit regieren: Natürlich glaubt Wendla nicht mehr an den Klapperstorch, aber das verklemmte Schamgefühl der Mutter verhindert eine echte Aufklärung.

Weil die Mutter übersieht, dass die Verlängerung des Rocksaums über das Knie keine Verhütung ist, kommt es, wie es kommen muss. Wendlas erstes Mal ist das letzte Mal, weil es in einem Abgrund endet: Der besitzergreifenden Gewalt Melchiors, der eigentlich bloß wissen will, wie es ist, hat die naive Wendla nichts entgegenzusetzen und auch nicht den Folgen: Eine Schwangerschaft ist keine Wassersucht, wie es sich die Mutter einredet, und man kommt ihr auch nicht mit Brausepulver bei, wie es der Doktor glauben machen will. Doch die Abtreibung, welche stattfinden soll, um die Fassade der Anständigkeit wahren zu können, überlebt Wendla nicht. So türmt sich ein Gebirge aus Schuld und Hilflosigkeit auf, welche am Ende das Positive nur als Vision zulässt: Zu sich und seiner sexuellen Orientierung zu stehen, dem Lockruf des Todes zu widerstehen, dem „Vermummten Herren“ Wedekinds, der in der Inszenierung ein fröhlicher Engel ist, wieder ins Leben zurück zu folgen, – das alles bleibt vage angesichts der Übermacht des Unheils und der Ohnmacht der Figuren.

Wie kommt man dem auf der Bühne bei? Spielleiterin Evelin Wagner und ihre Gruppe wählten eine streng klassische Spielform, um die Stimmung des Stückes wiederzugeben: Es ist eine überwiegend leise und intensive, voller melancholischer Sätze und mit vielen akzentuierenden Pausen. Die Bewegungen sind oft stilisiert und lassen in der Choreografie die Schauspieler immer wieder zu neuen Arrangements im Raum finden. Die Bühne bestimmt ein klarer Schwarz-Weiß-Kontrast, ansonsten bedarf es nichts weiter, um die Dilemmasituation zu versinnbildlichen. Es darf auch gerockt und getanzt werden, und das erinnert daran, dass viele der Wedekind-Sätze auch heute gesprochen werden könnten. Moderne Textergänzungen taten ein Übriges, um das Stück in unserer Zeit zu verankern.

Die bösesten, gefühllosesten Sätze kamen von den Erwachsenen und den Lehrern und sie wirkten umso intensiver, als sie von einem antikischen Chor gesprochen wurden (mit mustergültiger Sprechdisziplin dargestellt von Schülern der Klasse 5c), dessen rhythmisierender Ausdruck oft wirkte wie eine Peitsche.

„Hier beginnt der Spaß…“, stand auf Wendlas Ballon, doch das Stück war kein Spaß. Der dichte Text, die offene Struktur, die nicht naturalistische Darbietungsform machten es dem Zuschauer nicht immer leicht. Aber das Leben ist kein Spaß. Deswegen muss es das Theater auch nicht sein.

Es spielten: Katharina Niedens (9d; Herr Gabor, Martha); Tom Otieno (10c; Melchior); Anna Schmidt (Q11; Moritz), Darleen Caudle (Q11 Frau Bergmann, Ilse, Otto); Sophia Koßmann (Q11; Hänschen, Mutter Schmittin); Julia Sandner (Q11; Frau Gabor, Dr. Brausepulver); Meike Kratzer(Q11, Ernst Röbel, Vermummter Herr), Beate Guthmann (Q11, Wendla)

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