Schulgeschichte

Schule unterm Hakenkreuz

Der Schulleiter bei der 75-Jahr-Feier 1942

Mit dem 30. Januar 1933 begann die „Machtergreifung“, in Deutschland entstand die nationalsozialistische „Führerdiktatur“. Es entwickelte sich die größte Katastrophe der bekannten Geschichte, die in Deutschland dann erst im Mai 1945 endete.

Auch die Mädchenschule in Bayreuth wurde bald von den neuen Entwicklungen ergriffen, die auf die Stadt besonders wirksamen Einfluss hatten. Denn sie war nicht nur eine der „Lieblingsstädte“ des Führers, der hier besonders dem Werk Richard Wagners huldigte, sondern sie war auch der Standort des 1929 gegründeten „Nationalsozialistischen Lehrerbunds“ (NSLB), der 1933 die alleinige Lehrerorganisation wurde und bis 1943 diensteifrig die nationalsozialistische Weltanschauung an den Schulen verbreitete. Sitz der Organisation war das „Haus der Deutschen Erziehung“ in Bayreuth, von hier aus wurden publizistisch und agitatorisch die Ziele des Bundes vertreten. Sein Gründer und „Reichsamtsleiter“ war Gauleiter Hans Schemm, nach seinem Tod 1935 übernahm Gauleiter Fritz Wächtler die Leitung. Beide waren ihrer Ausbildung nach selbstverständlich ebenfalls Lehrer.

Der Schulleiter der Mädchenschule war seit 1913 Gustav Pauli, der sein Amt nach den Erinnerungen der Schülerinnen überaus freundlich, aufgeschlossen und tolerant versah. Aber krankheitsbedingt musste sich Pauli immer mehr von den Amtsgeschäften zurückziehen und er gab immer mehr Tätigkeiten ab. So wurde, wie an vielen anderen Schulen, bald der Weg frei für einen noch jungen, aufstrebenden Studienrat, der immer mehr Pflichten übernahm und der sich ganz in den Dienst der NS-Weltanschauung gestellt hatte. Neben seiner Tätigkeit als Schulleiter arbeitete er schließlich auch als „Gauhauptstellenleiter im Amt für Beamte“, als „Kreisamtsleiter des Amts für Erzieher Kreis Bayreuth-Eschenbach“, als „Referent für Assessorenfragen bei der Gauwaltung des NS-Lehrerbundes Gau Bayerische Ostmark“ und als „Schuljugendwalter der Anstalt“ – so verzeichnete es penibel der Jahresbericht 1937/1938.

1938 musste Pauli schließlich wegen seines Herzleidens den Ruhestand antreten. Der Studienrat, der nun der neue Direktor wurde, hatte bereits vorher kommissarisch die Schule geleitet, obwohl eigentlich auch dienstältere Kollegen an der Schule waren. Er wurde von Gauleiter Wächtler am 31. Mai 1938 persönlich in sein Amt eingeführt.

Amtseinführung des neuen Schulleiters in Anwesenheit des Gauleiters Wächtler

Der neubestellte Direktor verfolgte unverkennbar den Ausbau der Schule zu einer nationalsozialistischen Musteranstalt – vermutlich wetteiferte er hierin mit den anderen Schulleitern in der Stadt des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. Dabei half ihm, dass schon seit 1933 die Eingliederung der Mitglieder der bisherigen Lehrerverbände in den Nationalsozialistischen Lehrerbund erfolgt war. Durch Druck und Zwang, aber bisweilen auch überaus freiwillig stellten sich die Lehrerinnen und Lehrer in den Dienst des Regimes. Man hatte letztlich auch keine Wahl. Joachim Fest beschrieb 2006 in „Ich nicht. Erinnerungen an eine Kindheit und Jugend“ am Beispiel seines Vaters das Schicksal eines Lehrers, der sich dem Regime verweigerte.

Parallel zur Gleichschaltung und Einbindung der Lehrerschaft in das System kam es zur Etablierung des „Bundes Deutscher Mädel“ an der Schule. Anfangs war die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend bzw. im BDM formell freiwillig, aber seit dem „Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 1. Dezember 1936 und später durch die „Zweite Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Hitler-Jugend (Jugend-Dienstverordnung)“ vom 25. März 1939 wurde die Mitgliedschaft Pflicht. Es war dem Direktor ganz besonders daran gelegen, dass auch wirklich alle Schülerinnen dem Bund angehörten. Für sein Renommee war dies unverzichtbar, denn nur eine Schule, in der mindestens 90 Prozent der Schüler Mitglieder der HJ waren, hatte das Recht die „Hitlerjugend-Fahne“ zu hissen. Das „Bayreuther Tagblatt“ konnte das Erreichen der Prozentzahl schon am 17. Dezember 1935 vermelden:

Nun laßt die Fahnen fliegen! – Feierliche Flaggenhissung am Städt. Mädchenlyzeum 

Nur noch zwei bzw. drei Schülerinnen waren im Schuljahr 1937/1938 und 1938/1939 nicht beim BDM. (Es handelte sich dabei auch um die beiden letzten, noch verbliebenen jüdischen Schülerinnen.) Geschah einmal das Unfassbare und verließ einmal eine „arische“ Schülerin den BDM, setzte der Schulleiter sofort zu Nachforschungen an und versuchte den Austritt rückgängig zu machen.

Nachforschungen des Schulleiters wegen des Austritts einer Schülerin aus dem BDM

Im Sinne der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ kam es zur Errichtung einer „Schulgemeinde“, die sich aus dem Schulleiter, den Funktionären von NS-Organisationen, dem BDM sowie den Lehrern und den Eltern zusammensetzte. Lehrpläne und Unterrichtsinhalte wurden mit dem NS-Denken konform gemacht. Häufige feierliche Flaggenehrungen, Beteilung an „nationalen Festen“ und nationalsozialistisch gestimmte Schulfeiern sollten öffentlichkeitswirksam die Gesinnungstüchtigkeit der Anstalt dokumentieren.

Neben den normalen Unterrichtsbetrieb traten zahllose Aktivitäten des BDM, denen sich die Schülerinnen wohl oder übel anschließen mussten: Ausflüge, Wanderungen, Märsche, Zeltlager, Lagerfeuer mit Übernachtungen, Volkstänze, Handarbeits- und Bastelabende, sportliche Wettkämpfe, Fahrten zu Reichsparteitagen, Besuche von Parteiveranstaltungen, Anhören von „Führerreden“, Schulungen und dergleichen Betätigungen bestimmten nun den schulischen Alltag wie auch die Freizeit. Es ist unverkennbar, dass die Gruppenerlebnisse, die dabei entstanden, oft überaus erfreulich waren. Noch 1939, wenige Tage vor Kriegsbeginn, durfte eine kleine Gruppe von Schülerinnen, eine „Spielschar“, auf dem funkelnagelneuen KdF-Dampfer „Robert Ley“ eine Reise nach Norwegen mitmachen – ein unerhörtes Erlebnis in einer Zeit, in der Urlaubsfahrten praktisch noch unbekannt und unerschwinglich waren. Andererseits erzeugten die zahllosen Betätigungen im BDM offenbar auch Überdruss und riefen oft die Kritik der Eltern hervor, die es gelegentlich auch gern sahen, wenn ihre Kinder den Unterricht besuchten.

Werbeprospekt für die KdF-Schiffsreisen (Schularchiv)

Wir Mädel singen. Liederbuch des Bundes Deutscher Mädel. Wolffenbüttel und Berlin 1937, S. 26f. (Schulmuseum des RWG)

Der absolute Tiefpunkt der Schulgeschichte war jedoch der Kreuzzug gegen die jüdischen Mitschülerinnen, der auf behördliche Anordnung seit 1933 einsetze. Direktor Pauli ging mit den NS-Anordnungen offenbar lax um und stellte sich nach den Erinnerungen von jüdischen Schülerinnen sogar hinter seine „Mädels“, wie die Erinnerungen der jüdischen Schülerin und späteren Lehrerin Emmy Rindsberg bezeugen. Aber auch er musste willfährig sein. Aus dem Schuljahr 1936/1937 ist eine Meldung an das Ministerium erhalten, die nicht nur die „Stärke“ der Hitlerjugend bzw. des BDM festhielt, sondern auch im Sinne der NS-Rassenideologie meldete, dass an der Schule noch „5 nicht arische Schüler“ verblieben waren, nämlich „2 Juden“ und „3 Mischlinge“. Sie wurden noch vermerkt, aber in der Aufstellung bereits nicht mehr dazugezählt.

Meldung über die Mitgliedszahlen bei der Hitlerjugend 1936

Unter dem neuen Direktor gab es dann keine Rücksichtnahme mehr. Es kam zwar nicht zu Brutalitäten, aber den noch verbliebenen jüdischen Schülerinnen bzw. ihren Eltern wurde unnachsichtig deutlich gemacht, dass sie die Schule zu verlassen hätten. Nicht alle jüdischen Mitschülerinnen hatten das Glück dem Zugriff der Nazis zu entkommen – mehr als vierzig wurden von 1933 bis 1945 Opfer des Rassenwahns.

Rassen- und Gesundheitslehre: Dr. Jakob Graf, Biologie für Oberschule und Gymnasium. 3. Band für Klasse 5: Der Mensch und die Lebensgesetze. München und Berlin 1940, Tafel 28/29 (Schulmuseum des RWG)

Im Zweiten Weltkrieg änderte sich dann der Schulalltag schnell und spürbar. Bereits Ende 1939 wurde das Schulhaus vorübergehend für militärische Zwecke beschlagnahmt. Immer häufiger wurden Lehrer, die „kriegsdienstverwendungsfähig“ waren, zum Militär eingezogen. Dem Schulleiter blieb dieses Schicksal erfreulicherweise erspart, als Mitarbeiter des Oberbürgermeisters wurde er schließlich bis kurz vor Kriegsende für „unabkömmlich“ erklärt. Da Rohstoffmangel herrschte, wurden die Schülerinnen und Lehrer zu zahlreichen Sammelaktionen von Altstoffen eingesetzt. Im Januar 1942 musste eine strenge „Grußordnung“ erlassen werden, da der Schulleiter peinlich betroffen feststellen musste, dass die Schülerinnen den Hitler-Gruß auf überaus nachlässige und coole Weise ausführten. 1943 haperte es wieder mit der erwünschten völkisch-militaristischen Einstellung: Schülerinnen besuchten noch immer einen Tanzkurs. Seit der Niederlage von Stalingrad war die Stimmung ohnehin bereits auf dem Tiefpunkt, das Tanzen wurde umgehend verboten. Bereits seit 1942 bis 1944 wurden dann die Schülerinnen der 9. bis 12. Klassen zum Einbringen der Hopfenernte in die Hallertau verfrachtet. Die Lehrerinnen begleiteten und beaufsichtigten sie, kampiert wurde in den Stallungen und Scheunen der Hopfenbauern. Die aufgebrachten Eltern mussten von Gauleiter Wächtler in einem persönlichen Anschreiben beruhigt werden, in dem er ihnen versicherte, das für das Wohlergehen ihrer Kinder gesorgt werde.

Schreiben des Gauleiters Wächtler wegen des Ernteeinsatzes der Schülerinnen

Dienstverpflichtung zur Hopfenernte seit 1942

1942 kam es dann zum für lange Zeit letzten Höhepunkt im Schulleben: Die Schule feierte am 6. Juli ihr 75jähriges Bestehen. Im gleichen Jahr wurde der Ausbau der Schule zur gymnasialen Vollanstalt abgeschlossen, den der umtriebige Schulleiter seit Ende der dreißiger Jahre zielstrebig verfolgt hatte. An der Schule konnte daher 1942 erstmals das Abitur abgelegt werden.

Programm der 75-Jahr-Feier 1942, ein Beispiel für eine der zahllosen NS-Feiern und „Weihestunden“ an der Schule

Schülerinnen des ersten Abiturjahrgangs 1942

Im Verlauf des Jahres 1944 kam der normale Unterrichtsbetrieb immer mehr zum Erliegen. Die größeren Schülerinnen arbeiteten immer häufiger in Fabriken und Lazaretten. Seit Ende 1944 wurde das Schulhaus größtenteils als Lazarett genutzt. Unterricht fand nur noch unregelmäßig statt, schließlich erhielten die restlichen großen Schülerinnen ein Notabitur.

Der Schulleiter hoffte vielleicht noch immer auf den Endsieg: Noch im Frühjahr 1945 verpflichtete er die erschöpften und unwilligen Schülerinnen, den Unterricht weiterhin zu besuchen, da es ansonsten keine Teilnahme an den Abiturprüfungen geben könne. Er geriet dann 1945 in Gefangenschaft. Seine Internierung endete erst 1948, er galt als schwer belastet und erst 1959 konnte er an die Schule zurückkehren, an der er dann bis zu seinem Ruhestand unterrichtete – allerdings nicht mehr als Schulleiter.

Gauleiter Fritz Wächtler, seinen Förderer, ereilte ein anderes Schicksal. Der unbeherrschte, allseits unbeliebte und alkoholkranke Parteibonze setzte sich im April 1945 vor den amerikanischen Truppen aus Bayreuth ab und wurde schließlich von den eigenen Leuten als „Schuft und Verräter“ erschossen.

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