Schulgeschichte

„Schlenkernde Handbewegungen, undeutliche Laute“: Die NS-Grußordnung von 1942

Charlie Chaplin als Anton Hynkel 1940 in „Der große Diktator“. Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dictator_charlie2.jpg – Public domain/gemeinfrei

Frühjahr 1942: Das „Dritte Reich“ nährte sich langsam dem Höhepunkt seiner Machtausdehnung. Aber nun gab es auch Rückschläge, denn der Feldzug im Osten war gründlich schiefgegangen, die Einnahme von Moskau war gescheitert und die ruhmreichen deutschen Truppen lagen unter horrenden Verlusten in Eis und Schnee fest. Aber man konnte hoffen, dass in diesem Frühjahr das „Kriegsglück“ den eigenen Waffen wieder hold sein würde. Bekanntlich wäre es dann auch fast so gekommen.

Allerdings durfte nun der Kampfeswille nicht nachlassen. Aber hier war dem Schulleiter zu seinem Leidwesen Schmerzliches aufgestoßen. Bereits im Winter 1941 hatten nämlich zwei Ministerialräte die Schule visitiert, und dabei muss es zu unangenehmen Vorhaltungen gekommen sein. Zudem hatten die eigenen „langjährigen Erfahrungen und Beobachtungen“ den Direktor auf peinliche Vorgänge aufmerksam gemacht, wie er in einem Rundschreiben an das Kollegium feststellen musste. Hier galt es einzuschreiten: Verfallserscheinungen durften nicht geduldet werden, die Moral der Truppe musste unnachsichtig hochgehalten werden!

Worum ging es, war war Schreckliches geschehen? An sich waren es Vorfälle, die auch heute jede Lehrerin und jeder Lehrer kennt: Die damaligen Schülerinnen nahmen es mit dem Grüßen nicht so genau. Schon aus Gründen der Selbstachtung betrachten auch heute einige Schüler bisweilen lieber intensiv den Boden oder die Decke, anstatt den manchmal durchaus freundlichen Gruß einer Lehrkraft zu erwidern. Andere sind offenbar mit den bürgerlichen Grußritualen nicht oder noch nicht vertraut, einige verraten durch ein Krächzen mehr oder wenig deutlich artikulierter Laute eine erfrischende Unkenntnis der üblichen Grußworte. (Fairerweise muss man zugeben, dass bisweilen auch Lehrerinnen und Lehrer grußlos an ihren Mitmenschen vorbeihasten.)

Im Dritten Reich stellte sich die Sache allerdings etwas schärfer und unangenehmer dar. Seit der „Machtergreifung“ 1933 galt der „Deutsche Gruß“ oder „Hitlergruß“ als Zeichen einer wahrhaft völkischen Gesinnung und sollte als Bekenntnis zum NS-Regime auf zackige und gesinnungstüchtige Weise laut und demonstrativ ausgebracht werden. Die Nazis registrierten zudem genau, ob sich jemand durch ein auffälliges „Grüß Gott“ oder „Guten Tag“ von der Volksgemeinschaft absetzte oder, noch schlimmer, den Gruß durch Verballhornungen schändete: „Hei-tler!“ – „Heil du ihn!“ Aus ähnlich sinnigem Grund war der Hitlergruß auch in der Faschingszeit oder bei humoristischen Veranstaltungen zu unterlassen.

Der Direktor der Oberschule für Mädchen in Bayreuth nahm sich der Angelegenheit ohnehin mit wahrem Biereifer an. Und so erließ er umgehend am 8. Januar 1942 eine speziell auf seine Schule zugeschnittene „Grußordnung“, die allen diesbezüglichen Laxheiten den Garaus machen sollte. Die Lehrkräfte wurden verdonnert die Ordnung selbst genau einzuhalten und auf die gewissenhafteste Ausführung bei den Schülerinnen zu dringen.

Darin wurde penibel festgelegt, dass im Schulhaus, aber auch in der Öffentlichkeit der „Deutsche Gruß“ zur Anwendung gebracht werden sollte, der vorschriftsmäßig „mit erhobenem rechtem Arm“ exekutiert werden sollte. Besonders verhasst waren dem Direktor etwaige „schlenkernde Handbewegungen“, also Verrenkungen, wie sie 1940 Charlie Chaplin alias Anton Hynkel in „Der große Diktator“ vorführte. (Der Film wurde im Deutschen Reich verständlicherweise nicht aufgeführt.) Großen Wert legte der Schulleiter auch darauf, dass der Gruß „anständig“ gesprochen wurde „und nicht zu einigen unverständlichen Lauten entartet“. Überhaupt sollte die ganze Grüßerei „stramm“ erfolgen, ähnlich einem militärischen Appell, insbesondere zu Beginn und am Ende einer Unterrichtsstunde, und der Gruß sollte auch bei schulfremden Personen schwungvolle Anwendung finden, namentlich bei Herren wie dem Oberstadtschulrat, dem Bürgermeister und dem Oberbürgermeister. Hier galt es Eindruck zu schinden, insbesondere da die Beförderung der Schule zum Gymnasium erst vor kurzem erfolgt war und nun 1942 das erste Abitur bevorstand! Denn, so resümierte der Direktor maliziös: „Die Art, wie man grüßt, ist ein Zeichen der Bildung, die man besitzt.“

Die Schülerinnen und die Lehrerinnen und Lehrer der damaligen Oberschule für Mädchen in Bayreuth waren sicher keine Widerstandskämpfer. Aber dass sich der Schulleiter genötigt sah, im Januar 1942 eine NS-Grußordung zu erlassen, ist ein Hinweis darauf, dass Indoktrination und Mitläufertum nicht alle restlos ergriffen hatten.


Die Grußordung vom 8. Januar 1942

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