Schulgeschichte

Schul- und Unterrichtsreformen nach 1900: Physik, Chemie und der erste Schulabschluss

Physik-Unterricht mit Dr. Scheidel im neuen Schulhaus 1912. In der ersten Bankreihe links Schulrat Kesselring

Vor dem Hintergrund der Reformbewegungen der Frauenbildung im ausgehenden 19. Jahrhundert kümmerten sich die Behörden nach 1900 auch um das bis dahin vernachlässigte Mädchenschulwesen.

Als mit dem Schuljahr 1900/1901 eine sechste Jahrgangsstufe eingeführt wurde, kam es auch zu einer Revision der Stundentafel und der Fächer. Nun fand, wie auch an den anderen weiterführenden Schule im Kaiserreich, langsam eine Hinwendung zu den „Realien“ statt, und auch die Mädchenschule modernisierte sich: Englisch wurde nun nach der 4. Klasse als zweite Fremdsprache geführt, Physik und Chemie wurden als eigenständige Fächer ausgewiesen. Rechnen wurde nun bis zur Abschlussklasse durchgehend unterrichtet, der Stoff entsprach ungefähr den heutigen unteren Gymnasialklassen, er umfasste also auch Algebra und Geometrie. Das Fach Handarbeit wurde gekürzt, es umfasste aber immer noch drei Wochenstunden.

Die Einstellung zur Physik und Chemie bleibt aber noch etwas unentschlossen: Bis 1911 werden sie als gesonderte Fächer geführt, dann, von 1912 bis 1923/1924, werden sie ins Fach Naturkunde integriert. Nach 1924 sind sie wieder eigenständige Fächer.

Gemäß der „Schulordnung für die höheren Mädchenschulen in Bayern“ vom 8. April 1911 wurde auch die städtische Mädchenschule in Bayreuth reformiert und neu organisiert. Damit wurde erstmals auch ein offizieller Lehrplan für die höheren Mädchenschulen erlassen. Er belegt das weiter zunehmende staatliche Interesse an der Mädchenbildung. Erstmals erhielten die Mädchen nun ein Abschlusszeugnis, eine Art „Mittlere Reife“, die eine gewisse berufliche Laufbahn eröffnete. Die bis dahin verteilten Zeugnisse bescheinigten lediglich den Schulbesuch. Der Abschluss der sechsten Klasse qualifizierte nun für verschiedene Büro- und Verwaltungsberufe, insbesondere zu Laufbahnen im mittleren und unteren Verwaltungsbereich. Er verlieh auch die Berechtigung zum Besuch von Lehrerbildungsanstalten in nichtakademischen Fächern wie Handarbeiten, Zeichnen, Musik oder Turnen. Der von vielen jungen Frauen angestrebte Berufsweg als Lehrerin wurde damit eröffnet. Das Abschlusszeugnis erteilte sogar die Berechtigung zur Aufnahme in eine „Frauenschule“, um die Hochschulreife erlangen zu können.

Es gab daher auch erneut Änderungen in der Zahl und in der Verteilung der Unterrichtsstunden, die im Schuljahr 1912/1913 umgesetzt wurden. Die Fächer näherten sich nun besonders im mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich noch mehr denen der Knabenrealschulen an, erreichten sie aber in Umfang und Schwierigkeitsgrad noch nicht ganz. Mathematik wurde nun mit drei oder vier Wochenstunden unterrichtet. Französisch blieb erste Fremdsprache, Englisch als zweite Fremdsprache verlor aber seine Rolle als Pflichtfach und wurde zum Wahlfach.

Ein weiteres Zeichen der Aufwertung war, dass die Schule mit Gustav Pauli 1913 ihren ersten hauptberuflichen Direktor bekam. Er war 25 Jahre bis 1938 im Amt.

Insgesamt sicherten diese Reformen den Bestand der Schule und verschafften ihr Akzeptanz. Trotz der politischen und sozialen Katastrophen wuchs die Schülerzahl nach 1900 und stieg bis 1924 auf etwa 300 Schülerinnen an.

Lehrbuch der Physik und Chemie für höhere Mädchenschulen von 1913 (Physikalische Sammlung der Schule)

Eine Seite aus dem Lehrbuch mit Notizen des Lehrers

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